März 2022 / nachtkritik.de

Hamlet - Anhaltisches Theater Dessau

Zeit der Geister

Philipp Preuss zeigt mit Hamlet eine Welt ohne Zukunft, der nur noch Wiederholung bleibt. Sein oder Nichtsein, Schicksal, Macht: Es entsteht ein Spiel, in dessen Raum Sprache vergeblich nach Resonanz sucht.

von Iven Fenker

26. März.2022. Zwei Hamlets in silber-schimmernd schwarzem Samt sitzen an einer Tafel, die mit einem weißen Tischtuch bedeckt ist und sprechen zueinander, vor sich hin und schauen in die Leere des Saales, der sich zu füllen beginnt. "Hat es schon begonnen?" fragt, in der Tür stehend, ein:e Zuschauer:in. Das wird sich noch offenbaren. Noch ist der hintere Bühnenraum verdeckt von dem weißen Stoff, in dem die Tafel endet. Was schon passiert ist: Hamlet, der Alte, ist tot und die Hamlets damit vaterlos

Sprache auf der Suche

Hamlet, Niklas Herzberg, und Hamlet, Felix Axel Preißler, schauen nicht hin. Sie wissen, was ist und was nicht: Sein oder nicht, schweres Schicksal, der Rest ist ... Ihre Sprache kreist in Fetzen durch den Raum, auf der Suche nach Resonanz. Da ist nichts. Sie haben nur sich. Dahinter, hinten, hinter dem Stoff wird gefeiert. Eine Live-Kamera projiziert, was schon länger im Gange ist: Ihre Mutter Gertrud und ihr Onkel Claudius feiern ihre Hochzeit. Die Kostüme von Eva Karobath sind paillettenbestickte schwarze Festgewänder, die im Licht funkeln. Auf dem Tisch liegt eine Leiche. Sie wird zum Schmaus.

(...)

DEZEMBER 2021 / THEATER HEUTE - DEZEMBERHEFT

Deutschland, du mieses Stück Plastik
Sarah Kilter «White Passing» (U) in Leipzig

Fahrstuhlmusik begleitet den Einlass in die Diskothek des Leipziger Schauspiels: Musik, die keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Höhenangst nehmen soll. Dabei gibt es dort nichts, was in Unruhe versetzt: In die Bühne ist, den ganzen Raum ausfüllend, eine karierte Plastiktasche gehängt. Der Reißverschluss geöffnet. Auf dem Boden liegt als Fußabtreter ein Einkaufsbon. Als Tascheninneneinrichtung maßstabsvergrößerte Dinge des alltäglichen Bedarfs: Desinfektionstücher, Zigaretten, Tampons, in Plastik verpackt.

So wie die drei Schauspielerinnen, die nun die Bühnenraumtasche betreten. Sie tragen Playmobil-Perücken, markante Masken und Körperklischeepanzer wie schusssichere Westen. Meriam Abbas, Julia Preuß und Bettina Schmidt können ihrer überlebensgroßen Umgebung nicht viel entgegensetzen. Die Puppenkostüme machen ihr Bewegungsrepertoire ungelenk und gehemmt. Auch das geringste Fortkommen müssen sie über die Scharniere der Puppen spielen. Mit Piepsstimmen pressen sie aus fester Position den Text. Sarah Kilters «White Passing» gehört zu den drei Stücken, die dieses Jahr beim Stückewettbewerb der Autor:innentheatertage am Deutschen Theater Berlin gewonnen haben und mit einer

(...)

MAI 2021 / 46. MÜHLHEIMER THEATERTAGE - STÜCKEBLOG

AMERICAN PSYCHOS/ GERMAN ANGST

von Iven Fenker
22. Mai 2021 - Kritik

Im Schauspielhaus Hamburg führt der Abgrund des Abends hinab in die Niederung des REICH DES TODES. Karin Beiers weitreichende Inszenierung durchwandert unermüdlich, unerschrocken das finstere Tal – diesen Wahnsinnstext von Rainald Goetz, der die Realitäten der Bedingungen von Macht seziert und eine Retrospektive der politischen Historie wagt.
Welche Wunde die Flugzeuge am 11. September 2001 ins Zentrum der mächtigen, westlichen Welt gerissen haben und welcher Terror dem Terror folgt, offenbaren die treffsicher-tiefschürfenden Verwicklungen der Figuren in dieser Textschlucht. Mit dem Auftritt der populären, politischen Elite der USA der Nullerjahre – überschrieben mit einem Tableau der Mächtigen der europäischen Politik des vergangenen Jahrhunderts – beginnt eine Operation am offengelegten Rückenmark der Geschichte. Die politischen Eliten versuchen sich die Hände reinzuhalten und führen doch nur eifrig in die Selbstgerechtigkeit des Horrors: die Realpolitik.

(...)

MAI 2020 / PERFORMING ARTS FESTIVAL BERLIN - BLOG

WAS SICH ÄNDERN KANN, IST DIE KUNST

Wenn aus „Introducing...“ die „Anleitungen für die Daheimgebliebenen“ werden: Positionen von Wenzel U. Vöcks & Federico Schwindt, BAMBI BAMBULE, Simon Zeller, Jakob Krog & Jay Fiskerstrand, Gloria Höckner & Team, Tobias Malcharzik und Pauline Jacob

von Iven Fenker

Das Performing Arts Festival Berlin präsentiert ausgewählte Nachwuchsproduktionen der freien darstellenden Szene auf der Plattform: Introducing… – die Zukunft, jedenfalls der Kunst, könnte man sagen. Alles strebt doch zur Zukunft. Wie man dabei mit der Gegenwart umgehen kann, zeigen die Eingeladenen in den „Anleitungen für die Daheimgebliebenen“, die in Reaktion auf die Verschiebung des Festivals ins Digitale entstanden sind. Die Eingeladenen, das sind Wenzel U. Vöcks & Federico Schwindt, BAMBI BAMBULE, Simon Zeller, Jakob Krog & Jay Fiskerstrand, Gloria Höckner & Team, Tobias Malcharzik und Pauline Jacob. Ihre Videos können als Tutorials verstanden werden. Sie präsentieren mögliche Umgangsformen mit dem Jetzt, in dem wir uns gerade meist daheim befinden.

(...)

MAI 2020 / PERFORMING ARTS FESTIVAL BERLIN - BLOG

DEUTSCHLAND ALS PROBLEM

Oliver Zahn ist Theatermacher und Performer. Beim Performing Arts Festival Berlin hätte er sein Werk "Futur Germania" gezeigt. Ein Gespräch über Deutschland und Denkbewegungen.

von Iven Fenker

Oliver, Du wolltest Deine Performance "Futur Germania" beim Performing Arts Festival Berlin zeigen. Das findet nun aber digital statt. Wie reagierst Du darauf?

Ich zeige gar nichts. Das ist insofern ein Sonderfall, als dass die ganze Produktion durch die Pandemie verschoben werden musste. Das Stück hätte eigentlich Ende April in München Premiere gehabt und wäre jetzt beim PAF.

Hast Du über eine Übersetzung ins Digitale nachgedacht?

Das ist kein Stück, was es schon länger gibt und das man jetzt adaptieren könnte. "Futur Germania" ist ein Stück, dass auf der Begegnung von zwei Menschen auf der Bühne basiert. Dafür ein digitales Äquivalent zu finden ist schwer. Ich bin gar nicht grundsätzlich abgeneigt, dass man sich diese Kontaktbeschränkungen zum Anlass nimmt, um über andere Formate nachzudenken. Ich finde nur, dass es Sinn ergeben muss für die Arbeit, an der man gerade dran ist.

Ist es jetzt möglich, über ästhetische Konventionen nachzudenken?

(...)

MAI 2020 / PERFORMING ARTS FESTIVAL BERLIN - BLOG

SPIELEN ODER NICHT SPIELEN

Janina Benduski ist Programmdirektorin des Landesverband freie darstellende Künste Berlin, der das Performing Arts Festival Berlin veranstaltet. Sie ist Vorsitzende des Bundesverband freie darstellende Künste. Ein Gespräch über Widerstandsfähigkeit, Digitalkompetenz und Barrierefreiheit der freien Szene und das PAF in Zeiten von Corona.

von Iven Fenker

Seit Dienstag läuft das Performing Arts Festival Berlin, das wegen der Corona-Pandemie digital stattfinden wird. Was ist in diesem Jahr anders?

Alles. Charakteristisch für das PAF waren immer die Orte, die es zu entdecken gibt, dass das Publikum auch an unbekanntere Spielstätten und besondere Orte gelockt wurde, um die Arbeiten der freien Szene zu sehen.

Wird das Festival mehr Publikum erreichen, weil das Programm leichter zugänglich ist?

Irgendwie ist da immer die Hoffnung, dass man ein paar Menschen erreicht, die sich nicht in ein Theater trauen. Ein Teil der Bevölkerung hat aber gar nicht die Technik. Untersuchungen über Barrierefreiheit in der digitalen Kunst gibt es fast keine. Ich könnte mir vorstellen, dass die Reichweite gerade sehr groß ist, weil Menschen Sehnsucht haben nach Theater.

(...)